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Aus: Ausgabe vom 24.01.2025, Seite 10 / Feuilleton
Literatur

Unschöne Scheiße

Jetzt geht’s los: Warum ich Ulf Poschardts Streitschrift »Shitbürgertum« nicht lesen will. Eine kleine Weigerung
Von Stefan Gärtner
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Macht doch nix: Der Zu-Klampen-Verlag wollte Poschis Manuskript lieber doch nicht drucken

Meine Lieblingsgeschichte zum sich aufschwingenden Libertärfaschismus geht so, dass im fernen Süden Argentiniens eine Poststation steht. Die Poststation sorgt dafür, dass man auch am Arsch der Welt Post und Pakete verschicken und erhalten kann. Der Leiter der Poststation, das, was man wohl einen braven Mann nennt, wählt trotzdem Javier Milei, den Mann mit der Kettensäge, obwohl der versprochen hat, so einen irrwitzig unrentablen, steuerfinanzierten Beitrag zur Daseinsvorsorge, wie ihn die Poststation in der Pampa vorstellt, sofort abzuschaffen. Der Leiter der Poststation, auf die üblich hilflose Weise unzufrieden, wählt Milei trotzdem. Kaum ist der im Amt, wird der Postmann arbeitslos und hat der Arsch der Welt keinen Postanschluss mehr. Der Postmann, zerknirscht und von der Zeitung gefragt, wie man denn seinen eigenen Untergang wählen könne, sagt: Er habe halt geglaubt, dass …

Und nun zu mir. Ich will Ulf Poschardts Pamphlet »Shitbürgertum« nicht lesen. Der Redakteur fragt, ob ich’s rezensieren will, und ich sage: Ich kann nicht. Beim Großversender, dessen Chef auf einen wie Trump gerade noch gewartet hat, kann ich eine Querleseprobe nehmen, und es steht natürlich drin, was zu erwarten war von der x-ten Streitschrift gegens Juste Milieu, gegen das saturierte, linksmoralische Bürgertum, das alle abweichenden Meinungen unter Strafe stellt, etwa die von Reichsbürgern und Querdenkern, die vom linksversifften Staatsfunk am Verbreiten von alternativen Fakten gehindert werden. Die Monster, die der Faschist Trump um sich versammelt hat, korrupte, bösartige, im tiefen Sinn asoziale Kaputtniks wie Elon Musk, werden so zu Rebellen, ja »Intellektuellen« (wirklich O-Ton von Welt/N24-Herausgeber Poschardt), denn der Staat ist fett und faul und alimentiert das, was Poschardt, wie um anzuzeigen, dass es mit den Nuancen jetzt vorbei sei, »Shitbürgertum« nennt. Denn das Bürgertum ist scheiße, und endlich sagt es mal jemand.

Das ist, versteht sich, keine Kritik von links. Wenn es hier um die Bourgeoisie geht, dann so, wie es bei Hitler und Goebbels um sie ging, als feige, selbstgerechte und volksfremde, aber wenn ich das hinschreibe, oute ich mich gleich als Shitbürger, der immer mit dem Hitler-Hammer kommt, um unpassende Meinungen auszuschalten; denn wenn der Aiwanger Hubert als Gymnasiast allen Volksverrätern einen »Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz« versprochen hat und als Politiker mit dem Mob zum Reichstag ziehen will, ist er ja nicht gleich ein Nazi. Derweil hat das diskursterroristische Moralbürgertum gegen Frontex genausoviel, wie in eine Glosse von Heribert Prantl passt, aber das zu sehen geht natürlich schlecht zusammen mit dem Vorwurf der Autoimmunisierung, der sowieso ein Paradefall von Projektion ist, denn auf ebendiese Weise kann Poschardt Kerle wie Trump und Milei, die die Welt dem Kapital zum Fraß vorwerfen und sie zur Hölle aus Markt und Männlichkeit machen wollen, gegen eine Kritik in Schutz nehmen, die ja doch nur ihr eigenes Süppchen kocht.

Trump, stand in der FAZ, überrolle Freund und Feind, und wenn die Publikumsbegeisterung beim Großversand irgendwas besagt, wird die glücklich befreite schweigende Mehrheit sich später nicht darauf hinausreden können, sie habe nichts gewusst und sei sowieso immer dagegen gewesen. Nein, sie wollen das, und dass der Zu-Klampen-Verlag Poschis Manuskript nicht drucken wollte und es (passenderweise) im Amazon-Selbstverlag erscheint, wird zum Beweis für Zensur, als hätte ein Verlag nicht alles Recht, sich hier nicht gemeinzumachen. Überhaupt ist schon die Rebellengeste abstoßend, denn was sich hier spreizt, ist nicht nur ein Stil, dessen forsche Hohlheit (»Dieses Buch operiert mit einer konstruktiven Respektlosigkeit«) schon aufs trumpistische Projekt weist, sondern der Zeitgeist selbst, und die, deren Verfolgtheit allenfalls darin bestand, vielleicht einmal und ausnahmsweise aus einer Talkshow ausgeladen worden zu sein, sind jetzt am Drücker und zahlen heim; und während das US-Kapital seine Diversitätsprogramme per Federstrich abschafft und Frauenkörper wieder den Männern gehören sollen, beschwert sich Ulf über Linksmoral, als hätte eine andere je zur Verfügung gestanden, um Frauen und Minderheiten in Schutz zu nehmen.

Das Problem ist nicht, dass gegen eine Tugend, die vom Überbau kommt und von Herablassung nicht immer zu unterscheiden ist, nicht allerhand einzuwenden wäre (und eingewendet wurde), durchaus auch von links; das Problem ist, dass Moral als Konzept diskreditiert werden soll, denn Moral ist das, was den Markt behindert. Die Welt, wie der Vulgär-Nietzscheaner Poschardt sie sich wünscht, soll wieder frei, ungehindert und stark sein, und wenn die Lüge siegt, dann ist das eben Meinungsfreiheit, die so eng mit der Pressefreiheit verwandte, von der Rühmkorf sagte, es sei die Freiheit derer, denen das Papier gehört.

Und also hat das, was zu lesen mir unmöglich ist, durchaus etwas von Aufklärung, weil es den alten Mythos beseitigt, rechts, das sei die Rache des kleinen Mannes: Die Kundschaftsrezensionen, die den Autor für sein glänzendes, stimulierendes, überfälliges Werk loben, sind fehlerfrei formuliert, und was sich hier nicht mehr gängeln lassen will, sei’s durch Sprechverbote oder Impfzwänge, sind die Studierten, Verdiener und Entscheider, die der ewigen Rücksicht überdrüssig sind. Die Rede vom Porsche-Fahrer Poschardt ist ja sehr gebraucht, aber hier ist sie am Platz, denn das soll nun die Zukunft sein: die restlos freie Fahrt für enthemmte Bürger, und wer da nicht lichthupt, ist selber schuld. Als der Freund und Kollege Thomas Gsella im linken Moralfernsehen den Tod von Schwester und Nichte beklagt hatte, die, zwei Frauen in einem kleinen Auto, auf der Autobahn starben, als ein Audi in sie hineinraste, bekam er Zuschriften des Inhalts, wem es in der Küche zu heiß sei, der dürfe halt nicht Koch werden. In diese Richtung soll es gehen, und das ist es, was Poscho, halb Schumpeter, halb Botho Strauß, als »schöpferische Zerstörung« feiert. »Zukunftstauglich aufstellen« will Poschardt das Land, und es reicht mir, dass ich das erleben muss. Lesen will ich davon nicht.

Ulf Poschardt: Shitbürgertum. Ulfposhbooks, Berlin 2025, 164 Seiten, 18 Euro

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